Zwielicht


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Zwielicht: im KunstRaum Berlin, November / Dezember 2000

Zwielicht ist lexikalisch definiert als sichtbare Mischung des Lichts zweier Lichtquellen von unterschiedlicher Farbgebung, zum Beispiel die Mischung des natürlichen Sonnenlichts mit dem Kunstlicht von Straßenlaternen. Die Folge für unser Auge: optische Verwirrung. Wir können die Dinge nicht mehr genau erkennen, die im Zwielicht liegen.

Länge und Frequenz von Lichtwellen erzeugen das sichtbare Farbspektrum. Biologisch gesehen nehmen wir die Werte Farbe, Licht und Dunkel mit verschiedenen Teilen des Auges wahr: Tageslicht und Buntheit durch die kleinen Zapfen im Augenzentrum, das Hell-Dunkel-Sehen mit den Stäbchen im äußeren Bereich des Augapfels. In der Bildenden Kunst rückten mit der Entdeckung der impressionistischen Landschaftsmalerei Farbe, Licht und Dunkel in den Mittelpunkt einer neuen Farbauffassung. Die (an sich banale) Erkenntnis, dass der Pinsel nur in Farbe, nicht aber ins Licht getaucht werden kann, war geboren.

Hartmut Bohls fünfteilige Arbeit nähert sich diesem Problem auf ganz eigene Art und Weise: Die Wiedergabe verschiedener zweideutiger Lichtzustände fängt er durch Lasurmalerei ein. Es lassen sich zwei Gruppen von Hochrechtecken unterscheiden: Da sind einerseits drei scheinbar monochrome Arbeiten in Grau, Gelb und Rot, die bei längerem Hinblicken analog zum gewöhnungsbedürftigen Sehen bei Zwielicht tiefe Räumlichkeiten und Strukturen erkennen lassen. Die zweite Gruppe der Rechtecke dagegen konzentriert sich auf den Bildvordergrund mit klaren Pinselstrichen bzw. figürlichen Formen. Die Aspekte des räumlichen Sehens und des Erkennens von Dingen in diesem Raum von Licht und Farbe verbinden die einzelnen Hochtrechtecke zu einem Ganzen.

Samtig-monochrome Farbflächen bricht Harriet Sablatnig durch den Auftrag je eines linearen, Assoziationen weckenden Zeichens, das, in der jeweiligen Komplementärfarbe aufgetragen, ein Flirren auf der Farbfläche hervorruft. Ab wann ist etwas? Physikalisch, biologisch, soziologisch? Nur Luna in Form einer mit Blattsilber aufgelegten Alessi-Schale und Sol, dessen Sonnenhalbkreise einen Rahmen um die Komposition bilden, stehen ruhig. Die Farbigkeit der kleinen Quadrate erinnert an die Zerlegung des Morgen-, Mittag- und Abendlichts in ihre jeweiligen Spektralfarben.

Der dritte Maler im Bunde seziert Licht und Dunkel abzüglich der Farbigkeit: Karl-Heinz Bethmanns Gemäldepaar zeigt auf den ersten Blick schwarze Strichbündel auf cremig-weißem Grund. Wie ein feines schwebendes Gespinst strukturieren sie die helle Grundfläche, gehen von Schwarz über Grautöne in immer heller aufgetragene Dunkelstufen über, bis sie schließlich unmerklich mit dem Weiß des Untergunds verschmelzen. Wie bei Harriet Sablatnig bleibt der Betrachter im Ungewissen: Eine schwarze Linie beginnt im Nirgendwo, ist existent und löst sich wieder im Untergrund auf. Hinzu kommt eine Holzskulptur, die der Künstler aus einem Baum gefertigt, wieder zu einem Baum zusammengefügt hat – oder ist es etwa gar kein Baum mehr? Ist dieser nicht vielmehr lineares Vokabular des Künstlers geworden, der über Sein oder Nichtsein bestimmt?

Hermann Sievers‘ Kunst-Sprache hingegen ist klar und deutlich politisch motiviert: Das Zwielichtige muss ans Licht geholt werden. Aus zunächst spielerischem Umgang mit der Vergangenheit wird plötzlich Ernst. Während das Memory-Spiel erst angefangen hat, ist das Scrabble-Spiel bereits beendet: Deutsche Ortsnamen wachsen aus dem Begriff Leitkultur heraus. Wie Mahnmale springen uns die Buchstaben des fertigen Scrabble-Spiels ins Auge. Das Spiel, das eigentlich der Unterhaltung dienen soll, wird blutiger Ernst: Ausländer jagen, Mord, Naziparolen, Rassismus im Namen der Leitkultur. Die aufgedeckten schwarz-rot-goldenen Memory-Kartensätze belegen dahingegen in nüchternen Zahlen die Bereicherung der deutschen Wirtschaft in Zusammenhang mit den sogenannten Entschädungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter. Die für Vergangenes zu tragende Verantwortung hat die Gegenwart endlich eingeholt – aber noch ist das Spiel nicht vorbei.

Auch in der Arbeit von Gerd Scholze ist alles in Bewegung – die Welt ein Perpetuum mobile? Gottes Wort „Ein jedes hat seine Zeit“ prallt auf ironische Modeslogans wie „Schon gestylt? Schon vergreist? Schon verheizt?“. Frauen spielen eine zentrale Rolle: Mal tauchen sie als erotische Vision auf, dann als reife Frauenkörperabdrücke aus Gaze, die mechanisch als aufgespannte Häute um sich selbst kreisen. Projektionen von Herzpräparaten tauchen die Körperabdrücke in rotlila Licht und zeigen biologische Bilder über das Innere der Frau. Die Frau – das Mysterium, das Menschen gebiert und die Neugier des Mannes weckt. Wir sind mit der Geburt in ein Leben geworfen, das voller Bewegung ist, dessen Vergangenheit wir meinen erkennen zu können, in dessen Zukunft wir aber nicht blicken können und somit gegenwärtig im kulturellen lebensgeschichtlichen Zwielicht stehen. Ewiges Zwielicht in einem Moment, dem Jetzt.

Sigi Grunwalds Arbeit zeigt einen Röhrenkreislauf, aus dessen Öffnungen Geweihfarne ranken. Pflanzen reagieren auf Lichtreize der verschiedensten Art, obwohl sie keine Lichtstrahlenrezeptoren besitzen. Dies visualisiert Sigi Grunwald durch die optische Hervorhebung des Geweihfarns mit grünem künstlichen Licht. In Wahrheit aber können die Pflanzen im Plastiksystem nicht ohne Naturlicht und natürliche Gegebenheiten überleben.

Barbara Steinmeyer vollzieht die optische Täuschung tatsächlich mit Hilfe eines metallenen Gerätes. Sie dreht das Prinzip der Illusion um: Real ist ein geteiltes Gefäß im Raum verteilt, allein das optische Gerät vermag es illusionär wieder zusammen zu bringen. Täuschen uns Geräte, die wir zur vermeintlichen Klarsicht bauen? Oder aber machen sie Dinge möglich, die unser Auge normalerweise so nicht zu sehen vermag? Uns Menschen sollen optische Geräte bei der Erkenntnis vor allem naturwissenschaftlicher Phänomene weiterhelfen. In Barbara Steinmeyers Arbeit werden aber zwei völlig verschiedene Gefäßhälften, die nie ein Gefäß waren, einfach illusionär zusammengefügt. Der ironische Titel ist bezeichnend: „Kleine Täuschung“.

Arbeiten mit moderner Belichtungstechnik, Setzen von Kunstlicht zur Erzeugung eines möglich echten Naturlichts im Lichtkasten schließt den Kreis: Jürgen Rach taucht nicht den Pinsel in die Farbe, um Licht zu malen, er malt mit dem Dia. Farbechtheit, die Illusion eines Naturbildes in echten Farben, ist nur durch den gleichzeitigen Einsatz künstlicher Lichtquellen möglich – Zwielicht wie es im Lexikon steht. Jürgen Rach fragt nicht, wann etwas beginnt zu sein, sondern er macht das, was wir nicht erkennen sichtbar – allerdings auf einer viel tiefer gehenden Ebene: Nicht weil wir optisch irritiert wären, erkennen wir Dinge nicht. Wir sehen sie nicht, weil wir uns nicht die Zeit nehmen, uns so lange auf das geduldige Betrachten von Dingen einzulassen, bis wir sie erkennen.

Frederike Müller